Neues zur B-35-Nordumgehung: Worum geht es im "Scoping"-Termin?

30. Oktober 2020

Nicht nur die zahlreichen Gegner der B-35-Nordumgehung waren aufgeschreckt: das Regierungspräsidium lud Verbände, Behörden und Öffentlichkeit zum so genannten "Scoping"-Termin ein. Was versteckt sich hinter dem neudeutschen Begriff?

 

Bei jeder Straßenplanung müssen die Naturschutz- und Umweltaspekte formal berücksichtigt und "abgewogen" werden. Theoretisch wird dadurch auch die Wahl der verschiedenen Trassen stark beeinflusst.

In der Praxis läuft das meistens anders ab (nicht nur in Gorleben): Politische und Verkehrs-Interessen bedingen die Vorauswahl der gewünschten Trasse im "Hinterzimmer". Hierzu gibt es informelle Kränzchen bei der Behörde, bei denen natürlich auch Politiker und Verkehrsplaner eingebunden sind, aber nicht die Naturschützer.

Anschließend wird die festgelegte Trasse dann mit einigen "Pro-Forma-Alternativen" ins Verfahren eingebracht. Diese Alternativen sind meist entweder nicht bezahlbar oder sinnlos. Im eigentlichen Verfahren geht es dann nur noch darum, die bereits vorab festgelegte Trasse zu rechtfertigen. Sollten dennoch schwerwiegende Argumente gegen eine solche "Wunschlösung" existieren, werden sie durch Entscheidung der Behörde "weggewogen". Proteste und Einwendungen während des Verfahrens werden meist zu den Akten gelegt.

Nur in einem einzigen Fall ging das gründlich schief: bei der B-35-Nordumgehung in den 1990er Jahren. Dort war das Regierungspräsidium derart schlampig bei der Planung der Trasse, dass die gesamte Planung rechtswidrig war. Paradoxerweise ging es nicht darum, dass die Naturschutzaspekte berücksichtigt und "weggewogen" wurden, sondern darum, dass in den Unterlagen eine solche Abwägung gar nicht stattfand! Die Behörde hätte das durch rechtlich korrektere Formulierungen "beseitigen" können. Dennoch gewannen die Naturschutzverbände in den Gerichtsverfahren, bzw. die Stadt Bruchsal verlor ob der Verzögerung die Nerven und ging einen Vergleich vor Gericht ein. Dieser wurde vom Staat zähneknirschend akzeptiert.

Jetzt ist das Monster wieder zurück. Aber im Gegensatz zu damals ist Vernunft bei der Stadt Bruchsal eingekehrt. Alle Gremien der Stadt haben sich in diversen Arbeitsgruppen darauf verständigt, den Ausbau auf bestehender Trasse (Tunnellösung am "Prinz Max") zu fordern.

Dennoch wird der Staat und damit das Regierungspräsidium das Verfahren formell durchziehen. Das heißt:

  • im "Scoping"-Termin wird festgelegt, welche Aspekte bei der Untersuchung der Natur- und Umweltschutzeinflüsse der verschiedenen Trassen berücksichtigt werden müssen. Der Grund ist simpel: den klagenden Naturschutzverbänden soll die Möglichkeit genommen werden, später im Gerichtsprozess zu argumentieren, ein spezifischer Aspekt sei gar nicht untersucht worden (siehe oben).
  • Anschließend werden über 1-2 Jahre die Untersuchungen im Gelände durchgeführt. Dass bei den drei zur Auswahl stehenden Varianten das Ergebnis bereits ohne Untersuchung klar sein dürfte [Ausbau auf bestehender Trasse >> Tunnellösung im Norden >>> Ausbau im Norden ohne Tunnel], spielt keine Rolle. Die Büros werden sich über Staatsgelder freuen...
  • Erst anschließend wird es spannend. Dann legt das Regierungspräsidium nämlich (ohne Öffentlichkeitsbeteiligung!) fest, mit welcher Trasse man in die Planung geht. Ist diese Entscheidung - erneut im Hinterzimmer - gefallen, dann ziehen die Behörden erfahrungsgemäß das Planfeststellungsverfahren gnadenlos durch. Nur noch Details können dann verhandelt werden. Auch die Tatsache, dass das Regierungspräsidium und die Landesregierung derzeit unter grüner Führung stehen, hat nichts daran geändert.

Entscheidend wird allein die Frage sein: Bleibt die Stadt Bruchsal bei ihrer Ablehnung der B-35-Nordumgehung und fordert weiterhin den Ausbau auf bestehender Trasse? Wenn dem so ist, dann wird das Regierungspräsidium kaum umhin kommen, dem zu folgen. Hoffnung besteht also, aber keinesfalls Sicherheit.

Durch eine Nordumgehung würde Bruchsal

  • zusätzlichen Verkehr anziehen, ohne den bestehenden Verkehr auf der alten Trasse merklich zu reduzieren
  • später die Option einer vierspurigen Autobahn durch den Bruchsaler Norden haben
  • keine Verbesserung auf der bestehenden Trasse (Prinz Max) erzielen können - auch die Anwohner blieben lärmgeplagt
  • Weiteren Verkehr aus Richtung Kraichtal (Querspange!) erdulden müssen
  • später eine vierspurige Autobahn durch Helmsheim und Heidelsheim geplant bekommen
  • den letzten intakten Streuobstgürtel um Bruchsal, der derzeit als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen werden soll, irreparabel zerstören. Bruchsal wäre von Straßen umschlossen.
  • das wichtigste Naherholungsgebiet Bruchsals zerstören

Dass der Ausbau auf bestehender Trasse sinnvoll, besser als die Nordumgehung und bezahlbar ist und außerdem fast alle oben genannten negativen Aspekte vermeidet, steht mittlerweile durch zahlreiche Gutachten zweifelsfrei fest. Selbst ohne (!) Naturschutzargumente zu bemühen, wäre die Entscheidung eindeutig.

All dies hat die Stadt Bruchsal offensichtlich eingesehen und zieht derzeit mit den Naturschützern an einem Strang. Wie lange?

 

(1.11.2020 MHa)