Naturschutzverwaltung des Landes lässt Vernichtung von seltensten Pflanzenvorkommen durch Untätigkeit zu

04. Mai 2021
Der Quendel-Ehrenpreis (Veronica acinifolia) ist in Deutschland akut vom Aussterben bedroht. Seine größten, seit Jahrzehnten bekannten Vorkommen wurden jetzt durch Untätigkeit der Naturschutzverwaltung vernichtet.

Für den Natur- und Artenschutz im Land Baden-Württemberg wäre eigentlich das Umweltministerium zuständig, insbesondere aber die Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg (LUBW). Dort ist das so genannte „Artenschutzprogramm“ (ASP) angesiedelt, nachdem die CDU-geführte Landesregierung in den 1990er Jahren die effizient arbeitenden, aber in der Landesverwaltung deswegen unbeliebten Bezirksstellen für Naturschutz und Landschaftspflege (BNL) zerschlagen und ihre Mitarbeiter in den Regierungspräsidien und Landratsämtern begraben hatte.

 

Seither werden unter anderem praktisch keine Naturschutzgebiete mehr ausgewiesen. Die grün geführte Landesregierung zeigte übrigens in den letzten 10 Jahren keinerlei Interesse an der erneuten Stärkung der Naturschutzverwaltung – Natur- und Artenschutz ist kein zentrales Interesse der Grünen!

Nachdem der Verfasser als Vorsitzender des Landesnaturschutzverbands in den 1990er Jahren eine bessere Artenschutzpolitik des Landes eingefordert hatte, wurde immerhin zugesagt, die Mittel dafür aufzustocken. So wurde unter anderem das ASP gegründet. Aber anstelle tatsächliche Maßnahmen zu finanzieren, wurde wegen Personalmangel zunächst einmal begonnen, externe Büros mit Gutachten zu beauftragen. Für die Umsetzung der Gutachten blieb kein Geld mehr übrig, und alles landete in der Schublade.

Nachdem der LNV oft genug die Umsetzung eines effizienten Artenschutzprogramms einforderte, fiel den Behörden dann eine neue Strategie ein. Sie erklärten einfach die Vorkommen von seltenen und schützenswerten Arten als „geheim“. Daher konnte kein Externer mehr kontrollieren, ob und wo die Arten vorkommen, ob sie bedroht waren und ob sie überhaupt noch vorkommen. Nur die externen Büros freuten sich. Sie wurden nicht nur mit der Erstellung der Artenschutzprogramme, sondern auch noch mit deren Kontrolle beauftragt!

Die seltenen Arten hatten gar nichts davon, sie starben still. Ihre Vorkommen wurden überbaut, umgebrochen und vernichtet, ohne dass irgend jemand davon erfuhr. Und die Beamten hatten ihre Ruhe, vor allem die Präsidenten und Präsidentinnen der LUBW mit ihren gut dotierten, ungestörten Versorgungsjobs.

Die AGNUS musste in den 2000er Jahren schließlich vor Gericht in mehreren Instanzen ziehen, um überhaupt Einblick in die geheimgehaltenen Unterlagen zum ASP zu bekommen. Die Verwaltung argumentierte, wir seien ja schließlich „Störer“ und durch die Bekanntgabe der Daten an uns würden die Arten gefährdet! Selten haben wir vor Gericht eine schlimmere Verdrehung der Tatsachen gehört.

Schließlich mussten wir in einem Vergleich schwören, dass wir die Vorkommen geheimhalten würden. Der uns feierlich übergebene Datensatz war schließlich eine einzige große Ernüchterung, eigentlich sogar ein Skandal. Darin standen nur komplett veraltete, teilweise lächerlich falsche Daten, die schon Jahre überholt waren. In praktisch keinem einzigen Fall im nördlichen Landkreis Karlsruhe (wo die AGNUS tätig ist) gab es konkrete Maßnahmen zum Schutz von Pflanzenarten. Das einzige, was man tat, war das Ausgeben von vielen Millionen von Euros für Gutachten und noch mehr Gutachten. Auch die Gemeinden und Städte freuten sich, denn sie wurden nie behelligt.

Ein besonders trauriger Fall trug sich 2020 und 2021 zu. Es geht um die „größten“ noch verbliebenen Vorkommen des Quendel-Ehrenpreises (Veronica acinifolia) in Deutschland. Diese winzige, konkurrenzschwache Art kommt auf Schwarzbrachen und ungedüngten Feldern vor. Sie ist in ganz Deutschland nur noch in wenigen Exemplaren vorhanden und steht deswegen schon lange auf der Roten Liste ganz oben.

Die Vorkommen des Quendel-Ehrenpreises lagen auf Baumschulfeldern in Haueneberstein bei Baden-Baden. Sie sind bereits in der Flora von Baden-Württemberg in den 1990er Jahren als Besonderheit aufgeführt. Wie der Datensatz der AGNUS zeigt, waren sie auch schon Jahrzehnte im „ASP“ der LUBW Baden-Württemberg enthalten. Nur – wie immer – es tat keiner etwas für die Art. Die Geheimhaltung der Daten sorgte dafür, dass niemand gestört wurde.

Überraschenderweise hielt sich der Quendel-Ehrenpreis dort aber noch auf dem Gelände einer Baumschule, die immer in wirtschaftlichen Schwierigkeiten war und deswegen „extensiv“ gepflegt wurde. Seit ca. 2015 versuchte die AGNUS durch vielfache Hinweise irgend jemand zur Aktion zu bewegen, aber es interessierte niemand.

2020 gab die Baumschule endgültig den Betrieb auf, und der Quendel-Ehrenpreis und viele andere seltene Arten vermehrten sich prächtig. Wir von der AGNUS und andere Botanik-Experten versuchten das überall anzubringen und sprachen die Gemeinde und die Naturschutzverwaltungen an. Nichts passierte. 2021 wurde dann das Gelände neu verpachtet, und über Nacht gab es dort großflächige Maisäcker mit entsprechender Verwendung von Herbiziden. (Man könnte fast den Verdacht haben, dass wir selbst daran schuld waren, weil wir von "geschützten Pflanzenarten" geredet hatten. Ob das der Auslöser für das Umbrechen war?)

Intervention des NABU Rastatt kam (fast?) zu spät. Jetzt trafen sich endlich einige Vertreter von Gemeinden und der Naturschutzverwaltung, und was passierte? Man schlug vor, die „Experten“, sprich die besagten externen, von der LUBW bezahlten Büros hinzuzuziehen, die schon in den 20 Jahren durch Nichtstun aufgefallen waren. Als zynischer Kommentar kam dann noch die Bemerkung, es sei ja schließlich „landwirtschaftliche Vorrangfläche“, und da könne man ja nichts machen. Wenn es je Sinn gemacht hätte, einige 1000 Euro in das Anpachten der 2-3 Hektar Fläche und die Pflege durch den Naturschutz oder die Gemeinde zu investieren, wäre das eine wirklich gute Investition gewesen. Die Kosten eines einzigen nutzlosen Gutachtens waren wohl höher.

Was lernen wir daraus? Der Staat vernachlässigt seine Pflicht des Arten- und Biotopschutzes in sträflicher Weise. Die wenigen Beamten geben ihre Zuständigkeit an externe, gut bezahlte Büros ab. Kontrolle von außen wird mit dem Hinweis der „Geheimhaltung“ abgeblockt. Eigentlich ein Fall für den Landesrechnungshof und die EU… Die grün geführte Landesregierung versagt auf ganzer Linie beim Natur- und Artenschutz.

Der Quendel-Ehrenpreis ist nicht der einzige, aber ein besonders spektakulärer und für die Dokumentation besonders geeigneter Fall. Der AGNUS sind noch mehr als ein Dutzend ähnlich gelagerter Fälle im nördlichen Landkreis Karlsruhe bekannt. Aber wir dürfen ja nicht darüber reden…

Die einzige Lösung wäre die komplette Abschaffung der LUBW und die Wieder-Einführung der Bezirksstellen für Naturschutz und Landschaftspflege in ihrer alten Struktur. Sie gehörten zu den effizientesten Behörden in Baden-Württemberg, waren aber entsprechend unbeliebt bei der restlichen Verwaltung. Und die Natur hat eben nach wie vor keine wirkliche Lobby.

 

4.5.2021 MHa