Invasion der Punkte: Der Asiatische Marienkäfer

Wer im Herbst ein Fenster oder die Tür der Wohnung offenstehen lässt, findet alsbald kleine tierische Besucher in der Wohnung vor. Das hat in den letzten Jahren sehr auffällig zugenommen. Schuld daran sind mehrere so genannte „Neozoen“, also bei uns neu eingewanderte oder eingeschleppte Tiere. Einige dieser Arten überwintern als erwachsene Tiere an geschützten Stellen unter Steinen, in Erdritzen und an Felsen. Und für sie sind unsere Wohnungen und diverse Ritzen an Balkonen und Fenstern das Gleiche wie ein – von Natur aus eher seltener – Felsen mit willkommenen Versteckmöglichkeiten. Dass dann anschließend in den gut beheizten Wohnungen keine Winterschlafmöglichkeit vorhanden ist und die Tiere nach einiger Zeit mangels von Nahrung verenden, können die „Unterschlupfsucher“ ja nicht wissen. Das Spektrum dieser Überwinterungsgäste reicht von den schon immer heimischen Grauen Nebelwanzen und den Schnauzen- oder Schnabeleulen(faltern) bis zu Neozoen wie der Nordamerikanischen Kiefernwanze und den neuerdings massenhaft auftretenden Bernstein-Waldschaben.

Besonders auffällig ist aber der Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis), der sich seit ca. 2005 auch bei uns in Nordbaden überall ausgebreitet hat. Das ist eine in Ostasien heimische Marienkäferart, die in ihrer Lebensweise unseren heimischen Marienkäfern ähnelt, d.h. sie lebt vor allem von Blattläusen. Deswegen wurde Harmonia axyridis auch weltweit zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingeführt.

Was man aber nicht wusste, ist ein Selektionsvorteil des Asiatischen Marienkäfers gegenüber unseren heimischen Marienkäferarten. Er trägt einen kleinen Parasiten (ein Mikrosporidium) in sich, gegen das er resistent ist. Wenn nun ein Ei oder eine Larve des Asiatischen Marienkäfers von unseren heimischen Marienkäfern gefressen wird, dann gehen diese an diesem Parasiten zugrunde. Im Laufe der Zeit verdrängt der Asiatische Marienkäfer daher unsere heimischen Marienkäferarten, besonders den Zweipunkt-Marienkäfer. Die Bestände des Siebenpunkt-Marienkäfers, unserer häufigsten heimischen Art, haben sich dagegen nach anfänglichem Rückgang wieder etwas stabilisiert. Der Asiatische Marienkäfer ist aber unsere bei weitem häufigste Art geworden.

Die Larven des Asiatischen Marienkäfers besitzen eine völlig andere Gestalt (Bild). Man wundert sich, wie aus diesen flachen, grauen, orangefleckigen Kreaturen, die man in großer Zahl in Blattlauskolonien sehen kann, eine fast halbkuglige Imago mit starren Flügeldecken entstehen kann. Wie bei allen Insekten mit vollständiger Metamorphose findet dieser spektakuläre „Umbau“ während des Puppenstadiums statt.

Fast alle unserer heimischen Marienkäfer leben – mit wenigen phytophagen Ausnahmen - als Larven und Erwachsene (Imagines) karnivor, hauptsächlich von Blattläusen. Das ist auch beim Asiatischen Marienkäfer so. Er gilt daher als nützlich, wenn nicht die Verdrängung der heimischen Arten und die nachfolgende Verarmung der Insektenfauna resultieren würde.

Woran erkennt man den Asiatischen Marienkäfer? Das ist gar nicht so einfach. Er ist die bei weitem variabelste unserer sowieso schon variablen Marienkäfer-Arten, und die Anzahl der Punkte ist wie bei fast allen Marienkäfern zur Bestimmung ungeeignet. Die Farbvarianten (Bild) sind Legende! Viel Weiß-Anteile auf dem Halsschild sind aber ein guter Hinweis, und die häufigste „Normalform“ trägt zahlreiche schwarze Punkte auf orangeroten Flügeldecken, die meistens deutlicher orange gefärbt sind als die scharlachrote Grundfärbung des heimischen, genauso variabel gefärbten Siebenpunkts.

Bei Berührung oder Störung sondern die Asiatischen Marienkäfer ein orangerotes Sekret ab, das widerlich riecht. Die „Stinkstoffe“ sind Pyrazine, die zu den am ärgsten riechenden Stoffen im gesamten Chemiereich gehören. Ähnlich wie unsere heimischen Marienkäfer enthält die Lymphe außerdem diverse Gifte mit interessanter chemischer Struktur. Ihre Menge ist aber zu gering, um bei Menschen merkliche Wirkungen hervorzurufen. Von den Marienkäfern geht daher außer dem Geruch für uns Menschen keine Belästigung oder Giftwirkung aus. Beim Asiatischen Marienkäfer ist der Geruch aber so stark, dass Winzer schon über „Fehlaromen“ in Wein klagten, wenn er in Massen auf den Weinstöcken auftrat.

Im Herbst suchen sich die erwachsenen Käfer ein geeignetes Winterquartier. Besonders beliebt sind Felsritzen. Dort können sich große Schwärme der Käfer sammeln, wobei sie sich mit Geruchssignalen möglicherweise gegenseitig anlocken. Der Verfasser konnte dies in Pennsylvania (USA) beobachten, wo der Asiatische Marienkäfer seit den 1990er Jahren eingeschleppt wurde. Dort gibt es in den Hügeln und Bergen große Schotterhalden, an denen man im Herbst durch ganze Wolken von Asiatischen Marienkäfern laufen muss.

Da es bei uns im Kraichgau und der Rheinebene nun einmal wenig Felsen oder Schotterhalden gibt, nehmen die Käfer als Ersatz auch Häuser und sonstige Bauten, aber am liebsten freistehende Kirchen, Kapellen oder Burgruinen. Wir wundern uns dann im Herbst für die zahlreichen Marienkäfer, die wir auf unseren Fensterbrettern finden.

 

 

Wie geht es weiter? Der Asiatische Marienkäfer ist ein fester Bestandteil unserer Fauna geworden. Bekämpfung ist nicht möglich und würde auch die heimischen Arten treffen. Wir können lediglich hoffen, dass die heimischen Marienkäfer sich einigermaßen anpassen und nicht aussterben. In unseren Gärten ist der „Asiate“ genauso nützlich wie die heimischen Arten und trägt zur biologischen Ungezieferbekämpfung bei. Daher sollen und müssen wir ihn tolerieren, auch wenn die „Invasion“ im Herbst manchmal etwas nerven kann.

 

(15.11.2021 MHa)