Die Efeu-Seidenbiene und ihr Parasit, der Seidenbienen-Ölkäfer: eine komplizierte Beziehung hochspezialisierter Arten jetzt auch bei uns!

Viele heimische Wildarten (aber auch der Mensch!) werden von allen möglichen Parasiten besiedelt. Ihre Beziehungen aufzuklären, ist meistens sehr langwierig und kompliziert. Nur selten verläuft so ein Parasitismus so spektakulär und auffällig wie im Fall des neu eingewanderten Seidenbienen-Ölkäfers.

 

Auch sein Wirt, die Efeu-Seidenbiene (Colletes hederae) ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:

  • sie fliegt vor allem im Herbst, wenn ihre alleinige Pollenquelle, der Efeu, blüht.
  • Sie ist die letzte (erst 1993!) beschriebene und dabei leicht kenntliche Bienenart Deutschlands. Ob das daran liegt, dass die Bienenspezialisten früher im Herbst nicht gesammelt hatten oder ob die Art neu eingewandert ist, weiß man nicht.
  • Seit den 1990er Jahren werden diese Bienen beständig häufiger, ganz im Gegensatz zu den allermeisten Verwandten. Dabei spielen sicher der Klimawandel eine Rolle (die Art ist wärmeliebend), aber auch das in Gärten, Hecken und Siedlungen überall häufige und weiter zunehmende Efeu.

Mittlerweile kann man die Efeu-Seidenbiene auch auf Bruchsaler Gemarkung überall antreffen, selbst in den Siedlungen und in Stadtparks. Im September 2020 wurden Hunderte Exemplare auf dem Michaelsberg beobachtet. Die Weibchen nisten an offenen Bodenstellen und schrecken auch vor Trampelpfaden nicht zurück. Auf dem Michaelsberg ist Efeu in den Hecken massenhaft vertreten.

Entwicklungszyklus der Efeu-Seidenbiene: (a) Weibchen der Efeu-Seidenbiene beim Sammeln von Pollen an Efeu; (b) Männchen der Efeu-Seidenbienen suchen ebenfalls Efeu auf, um dort Nektar zu trinken oder um Weibchen zu treffen; (c) Weibchen gräbt ein Nest. Der Abraum wird rückwärtsgehend nach außen geschafft; (d) zeigt sich ein Weibchen, tauchen sofort zahlreiche Männchen auf, um ihre Paarungschancen zu nutzen. Dabei entstehen sogenannte "Paarungskugeln"; (e) ein Weibchen bringt Pollen in sein Nest, um die Brutkammern mit einem Pollen-Nektargemisch zu füllen, von dem sich die aus den dort abgelegten Eiern geschlüpften Bienenlarven ernähren (alle Bilder: H. Bahmer).

 

Wäre das nicht alleine interessant genug, so kam seit ca. 2010 eine neue Art hinzu: der vor allem bei Seidenbienen parasitierende Ölkäfer Stenoria analis. Diese Käferart galt bisher als Art des Mittelmeers. Sie sieht charakteristisch aus, daher konnten die Spezialisten leicht bestätigen, dass es sich hier um eine Neueinwanderung handelt. Es gab zwar wenige alte Nachweise, aber beständige Populationen wurden in Deutschland bisher wohl nicht gebildet. Die neuerdings häufigen Vorkommen ihrer Wirtsbiene und der Klimawandel haben die stabile Etablierung mit Sicherheit erst ermöglicht.

 

Der Seidenbienen-Ölkäfer ist ein „Kleptoparasit“, der sich in den Nestern der Efeu-Seidenbienen entwickelt. Nach der Paarung legen die Weibchen ihre Eier in großen Gruppen in der Regel an Pflanzen in der Nähe von Efeu-Seidenbienenkolonien ab (Bild unten). Aus den Eiern schlüpfen höchst bewegliche Larven (Triungulinen), die sich durch "dreiklauige" Füße auszeichnen. Mit ihrer Klammervorichtung halten sich die Käferlarven an Bienenmännchen fest und gelangen bei Paarungen auf die Weibchen und mit diesen in die Bienennester. Dort entwickeln sie sich auf Kosten des Bienennachwuchses zur neuen Käfergeneration. Die zweite und weitere Larvengeneration des Ölkäfers sehen komplett anders aus, nämlich wie weiße, fußlose Maden. Sie leben von den Vorräten, die die Bienenweibchen als Larvenproviant für ihren eigenen Nachwuchs in den Bau eingetragen haben.

Entwicklungszyklus des Seidenbienen-Ölkäfers: (a) Paarungsaktivitäten; (b) Eiablage an Strand-Grasnelke; (c,d) im Laufe der Zeit sind an den Eiern bereits von außen Veränderungen zu beobachten; (e) die Käferlarven sind geschlüpft und sitzen teilweise unter den leeren, jetzt weißen Eihäuten; (f) die Käferlarven ordnen sich so an, dass ihre braunen Köpfe nach außen zeigen; (g) legt man das Gebilde aus (f) in die Efeu-Seidenbienen-Kolonie, stürzen sich mehrere Männchen auf die Larven, die sich blitzschnell am Bienenkörper festhalten; (h) ein Männchen der Efeu-Seidenbiene trinkt Nektar. Auf dem "Rücken" sind mehrere Käferlarven zu sehen; (i) Paarung der Efeu-Seidenbienen; das Männchen ist von Käferlarven befallen, Foto: Annelies Polenz); (k) Weibchen der Efeu-Seidenbiene mit Käferlarve.

Bei den Eiern handelt es sich um gut ein Millimeter lange, blassbraune längliche Gebilde, die zusammenkleben und das Gelege bilden. Je nach Unterlage ist das Gelege durch seine Farbe mehr oder weniger gut getarnt.

Die um einen Millimeter großen Käferlarven bilden nach dem Schlüpfen zunächst einen ziemlich ungeordneten Klumpen, auf dem noch die leeren Eihüllen zu sehen sind. Nach einem Tag ordnen sich die Larven so an, dass die braunen Köpfe nach außen zeigen. In dieser Phase sind die Larven hoch aktiv, und es ist eine starke, aber feine Bewegung aller Larven zu sehen. Bei Berührung mit einem Pinsel klammern sich sofort einige der Tiere an die Pinselhaare. Um sich an ihrem Wirt festzuhalten, setzen die Larven ihre Füße ein. Jeder Fuß weist eine gebogene Klaue auf und zwei ebenfalls gebogene Borsten. Darauf ist der Name Dreiklauer (Triunguline) zurückzuführen.

Darüber, wie die Triungulinen genau in die Wirtsnester kommen, gibt es keine einheitliche Meinung. Fest steht, dass sich die Käferlarven durch ihre Wirte in die Nester transportieren lassen, denn man findet sowohl männliche als auch weibliche Efeu-Seidenbeinen, auf denen Triungulinen sitzen. Die zeitlich vor den Weibchen schlüpfenden Männchen der Efeu-Seidenbienen halten sich in der Kolonie bei ihren Suchflügen nach Weibchen in der Regel nur wenige Zentimeter über dem Boden auf. Erscheint ein Bienenweibchen, erfolgt gewöhnlich eine sehr heftige Reaktion der Bienenmännchen. Um von den Bienenmännchen "abgeholt" zu werden, müssen die Käferlarven irgendwie auf sich aufmerksam machen. Da sowohl bei Honigbienen als auch bei Wildbienen Pheromone bei der Geschlechterfindung eine Rolle spielen, besteht die Möglichkeit, dass die Larven die Fähigkeit haben, solche Stoffe zu produzieren und damit ihre Wirte anlocken (chemische Mimikry). Als weitere Möglichkeit wird eine optische Mimikry ins Gespräch gebracht. Hier müsste die Gesamtheit der Larven eines Geleges mit den nach außen zeigenden braunen Köpfen den Bienenmännchen Bienenweibchen vorgaukeln. Verstärkt wird der Eindruck vielleicht noch durch die Bewegung der Käferlarven, was liebesblinden Bienenmännchen ein sich bewegendes Bienenweibchen vortäuschen könnte! Bei beiden Anlockmethoden dürften wahrscheinlich nur die Käferlarven eine gute Chance haben, von Bienenmännchen transportiert zu werden, die vor den Bienenweibchen erscheinen.

 

Wie wird es weitergehen? Stenoria analis hat sich im Gefolge der Efeu-Seidenbiene bei uns fest etabliert. Die spezialisierte Beziehung zwischen Wirt und Parasit wird zu Fluktuationen im Bestand von beiden führen. In Anbetracht der Häufigkeit von Wirt und jetzt auch des Parasiten sind beide Arten sicherlich nicht bedroht.

 

Uns bleibt, eine faszinierende Beziehung von hochspezialisierten Arten mit höchst komplexer Biologie zu bewundern.

 

 

Text: Hans Bahmer & Michael Hassler, unter Verwendung von Photos und Informationen aus:
Bahmer, Hans (2017): Beobachtungen an Seidenbienen-Ölkäfern Stenoria analis (Schaum, 1859) in einer Kolonie der Efeu-Seidenbiene Colletes hederae Schmidt & Westrich, 1993) im Botanischen Garten in Gießen in den Jahren 2016 und 2017. – Online unter www.kerbtier.de/Pages/Themenseiten/deStenoria.html.

Die AGNUS bedankt sich ausdrücklich beim Verfasser und bei Christoph Benisch von www.kerbtier.de für die Erlaubnis der „Zweitverwertung“!